Visierinstrumente

 

In diesem Kapitel zeige und beschreibe ich Instrumente, die ich selbst untersuchen konnte.

Kugelvisier

(Vis01)

Das Instrument ist aus Messing gefertigt und einmal klappbar (Anm: obwohl viele Proportionalzirkel so montiert sind handelt es sich -nicht- um einen solchen, weil hier die Skalen parallel verlaufen).

Vis01
Das Instrument zusammengeklappt

Aufgeklappt sind die Abmessungen 530 x 32 mm. Das Instrument stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist mit J. M. Hildenbrand Ludwigsburg signiert. Hildenbrand muss eine Dynastie mit mehreren Instrumentenbauern gewesen sein, sodass ich den Hersteller noch nicht identifizieren konnte.
Das Visier dient zur schnellen Bestimmung des Gewichts von Kugeln.

Vis01
Übertragung des Kugeldurchmessers auf das Instrument

Hierzu wird der Kugeldurchmesser mit einem Taster aufgenommen und je nach Material der Kugel auf eine der drei Skalen Stein, Eisen, Blei links beginnend abgetragen. Am anderen Endpunkt der Strecke kann man unmittelbar das Gewicht der Kugel in Nürnberger Pfund ablesen.

Vis01
Das linke Ende der drei Skalen mit den Teilungen  Quentchen  Loth  Pfund

Die Skalen beginnen mit Quentchen, dann folgen Lot und schliesslich Pfund. Für die Einheiten gilt 4 (? Teilung nicht eindeutig) Quentchen = 1 Lot, 32 Lot = 1 Pfund.

Vis01
Das rechte Ende der Skalen

Die Skalen enden mit den Gewichten 320 für Stein, 1000 für Eisen und 300 für Blei.
Auf der Rückseite ist eine Längenskala mit der Bezeichnung Decimal=Maas aufgetragen mit einer Längeneinheit zu 28,6 mm, falls man doch einmal den Kugeldurchmesser benötigt.
Die Nachrechnung der Skalen ergibt ein Nürnberger Pfund zu 509 gr, was der Überlieferung entspricht.

Üblicherweise hat man ab dem 16. Jahrhundert das Gewicht von Kanonenkugeln länderübergreifend in Nürnberger Pfund angegeben. Es handelt sich hierbei um eine sehr frühe Form von Normierung.
Wie man an diesem Instrument gut erkennen kann besteht das Kennzeichen von frühen Visierinstrumenten darin, dass eine Messung gleichzeitig eine Berechnung beinhaltet - hier wird der Kugeldurchmesser sofort in das Kugelvolumen mal spezifischem Gewicht des Materials umgewandelt. Die Handhabung des Instruments ist einfach, die Bestimmung der Grundeinheit und die Teilung der Skalen dafür umso schwieriger.

 

Kubische Visierrute, Österreich

(Vis02)

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Vis02
Das obere Ende der kubischen Skala              15               16                                                          20

Der Stab ist aus Eisen gefertigt und trägt auf einer Breitseite eine kubisch geteilte Skala bis zum Skalenendwert 20 mit einer Gesamtlänge von 122,5 cm.
Mit Kubikruten lassen sich exakt nur ähnliche Körper ausmessen, d. h. solche mit gleichen Proportionen. Welche Proportionen das Gefäss hatte, das dieser Rute zu Grunde liegt - Fass oder Bottich -, ist nicht mehr bekannt. Mit einer Kubikrute misst man einen Bottich diagonal vom Rand bzw. ein Fass diagonal vom Spundloch aus bis an den Bodenrand der Fassdauben. Unter allen Zylindern mit konstanter Diagonalen gibt es einen, bei dem das Volumen ein Maximum wird. Unterstellt man einen solchen Maximalzylinder, dann lässt sich aus dieser Rute eine Volumeneinheit von geringfügig weniger als 60 Liter rückrechnen. Dies entspräche der Einheit Eimer in Österreich und Ungarn. Tatsächlich wurde die Kubikrute vorwiegend im Raum Österreich verwendet und man weiss zudem, dass österreichisch-ungarische Fässer dem Maximalzylinder sehr nahe kamen (s. Schoberleitner 2003).

Auf der anderen Breitseite und an den Schmalseite trägt der Stab weitere Skalen, deren Zweck ich noch nicht ergründen konnte.

 

Kubische Visierrute, Frankreich

(Vis05)

Der Stab ist aus Holz gefertigt, seine Länge über alles beträgt 91 cm.
Die Skala ist dezimal geteilt und trägt nur die Zahlen 10, 100 und 200. Fünfziger sind mit einer Vertiefung hervorgehoben. Der letzte Strich der Skala ist nicht mehr benannt, trägt jedoch in der Fortzählung den Wert 300.

Spitze
Spitze                                                                                                              10  

Mitte
                   10                                                                              (50)                                             100

Griff
    100                              (50)                      200                       (50)               (300)               Griff
Für bessere Lesbarkeit sind die Bilder auf starken Kontrast eingesellt. Sie werden hier wiedergegeben mit
Genehmigung des Besitzers.

Nach dem Ausmessen der Positionen der drei Zahlenwerte und mit einigen Rechnungen stellt sich schnell heraus, dass die Skala kubisch geteilt ist. Für einen kubischen Visierstab sprechen auch die Spitze an dessen Anfang, damit man ihn in eine Ecke zwischen Wandung und Boden stellen kann, sowie die Tatsache, dass keine zweite Skala vorhanden ist.

Für welche Proportionen des Gefässes die Visierrute ausgelegt war ist nicht bekannt. Unterstellt man jedoch, dass es sich um einen Zylinder mit maximalem Volumen für eine gegebene Länge der Diagonalen gehandelt hat, entsprechen die Zahlenwerte annähernd der Menge in Litern. Dieses Ergebnis sowie die dezimale Teilung sprechen dafür, dass es sich um einen kubischen Visierstab aus Frankreich aus der Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts handelt. Diese Herkunft hatte auch der Händler zuvor angegeben.

 

Kubische Visierrute, Herkunft unbekannt

(Vis06)

Dieser Visierstab mit quadratischem Querschnitt ist aus Holz gefertigt, 117 cm lang und weist mehrere Besonderheiten auf.
Die Skala erstreckt sich über die Werte 2 bis 45 und ist kubisch geteilt. Die Unterteilungen betragen zwischen den kleinen Zalhlen Achtel, bei grösseren Zahlen Viertel und bei grossen Zahlen wegen Platzmangels Halbe. Das zu bestimmende Volumenmass muss demnach zumindest in acht kleinere Teile unterteilt gewesen sein.

Der Stab beginnt mit dem Skalenwert 2. Der Grund hierfür ist unbekannt.
Alle Zahlen und die Teilungsstriche sind in aufwendiger Arbeit mit Messingdraht ausgeführt.

Teil unten
 (2)                                                                                                                                                      7 

Teil Mitte
      9                                                                             14                                                                                  21

Teil oben
                                  30                                                                      40                           (45)        Griff

Der Stab muss längere Zeit in einer Flüssigkeit gestanden haben, weil die dunkle Färbung des Holzes beim Skalenwert 14 deutlich erkennbar endet.

Auf der Rückseite ist eine gleichmässige Teilung ohne jede Kennzeichnung angebracht. Wozu diese dienen sollte ist unbekannt.

Rückseite
Die Rückseite  

Unter der Annahme, dass die Visierrute ursprünglich länger war, errechnet sich mit dem fehlenden Stück und unter der Annahme eines Maximalzylinders eine Volumeneinheit um 67 Liter. Dieses Eregebnis könnte auf die Volumeneinheit Eimer mit Achtelteilung sprechen
Abgesehen von der nicht-dezimalen Teilung des Volumenmasses lassen die wenigen greifbaren Anhaltspunkte keine gesicherte Zuordnung nach Herkunftsland oder Masseinheit zu.

 

Quadratische Visierrute, Gallonen

(Vis03)

Diese Visierrute ist aus Holz gefertigt, besitzt quadratischen Querschnitt und ist 122 cm lang. Beide Enden sind mit Messingblech verstärkt.
Die Rute kommt aus England und wurde im 19. Jahrhundert benutzt. Sie heisst quadratisch weil auf einer Seite eine Skala mit quadratischer Teilung angebracht ist und nicht weil sie quadratischen Querschnitt besitzt.

Vis03
Das obere Ende der Quadratskala mit der Benennung Gallonen

Diese Skala trägt zudem die Bezeichnung Galls (Gallonen). Misst man mit dieser Skala den Durchmesser eines Zylinders, dann erhält man keinen Zahlenwert für ein Längenmass, sondern eine Zahl, die der Anzahl von Gallonen in einem Zylinder mit eben diesem Durchmesser und der Länge 1 inch entspricht. Man muss nur noch die Länge des Zylinders mit der anderen inch-Skala messen und beide Zahlen multiplizieren, um das Volumen zu erhalten.

Vis03
Das untere Ende des Stabes mit einer Inches-Skala

Die Nachrechnung ergibt eine Volumeneinheit zu 4,546 Liter, was tatsächlich einem Imperial Gallon entspricht.

Etwa mit Beginn des 18. Jahrhunderts wird in England die Volumenmessung nicht mehr nur geometrisch, sondern auch rechnerisch erfasst. Diese Quadratrute ist ein gutes Beispiel für diesen Wandel.

 

Visierband aus Baden

(Vis04)

 

Visierband

Ein kubisches Visierband aus dem Grossherzogtum Baden.
Über das Band und seine Rekonstruktion wurde ein detaillierter Artikel verfasst.
Er ist erschienen unter
Dirk Schmitz, Stephan Weiss: Ein Visierband aus dem Grossherzogtum Baden
In: Maß und Gewicht, Zeitschr. f. Metrologie, Nr. 113, März 2015

 

Literatur

Schoberleitner, Franz: Johannes Keplers Beiträge zur Mathematik. In:  Schriftenreihe zur Didaktik der Mathematik der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft (ÖMG), Bd. 35, 2003, S. 87
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s.a. Abschn. Literatur im Kapitel Fassmessung

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